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AutorenbildStefan Malzew

Musik braucht Stille

Aktualisiert: 6. Apr. 2020

Ein Text aus 2016 - aktuell wie eh und je...


Dieses Bild täuscht. Es vermittelt den Eindruck, als ginge es hier um stille Momente versonnenen Nachdenkens mit dem Ziel konzentrierter Reflexion.

Das eigentliche Ziel, das ich mit dem Schreiben dieser Zeilen verfolge, ist jedoch das Wecken eines Bewusstseins für


Lärm.


Wir werden nicht darum herum kommen festzustellen, dass unsere Umgebung inzwischen zu einem akustischen Chaos verwildert ist. Dadurch leidet auch die Wahrnehmung der vielen guten Songs und Musiken, die stetig neu entstehen und uns aller Orten präsentiert werden.


Das jedoch inzwischen permanente Bombardement unserer Hörorgane mit unkontrollierten Klängen jeglicher Art ist ein scheinbar lächelnder ständiger Begleiter, der unsere Fähigkeit zum differenzierten Hören, zum Zu-Hören in einem solchen Maße verringert, dass das verstehende Hören von Musik zu einer echten Herausforderung wird. Und zwar erst einmal gar nicht deshalb, weil viele von uns wenig bis nichts über die Strukturen der Musik wissen, die sie hören. Sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil das Hörwerkzeug seinen Dienst auf Grund von permanenter Überforderung nicht mehr vollständig zu verrichten imstande ist.


Wenn uns jemand immerzu auf den Zeigefinger hauen würde mit der selben Hartnäckigkeit, in der wir es ungescholten zulassen, dass man ungebeten den Hammer in unserem Innenohr auf dem Amboss unserer Gehörgänge herum schlagen lässt, würde man uns für einen masochistisch veranlagten Idioten halten.


Wir sind jedoch keine masochistisch veranlagten Idioten.


Was führt aber dann dazu, dass wir geneigt sind, uns permanent und ungefragt etwas in die Ohren stopfen zu lassen, das in einem akustischen Ambiente stattfindet, bei dem der Begriff Musik nur noch als Pseudonym gelten darf, um nicht Krach geheißen zu werden?


Ist es wie mit manchen Nahrungsmitteln aus dem Kühlregal, die als „Käse“ verkauft werden dürfen, obwohl sie tatsächlich gerade mal 3% Käse enthalten?




Frosch und heißes Wasser


Es gibt diese Geschichte, in der es heißt, dass ein Frosch, wenn er in ein Gefäß mit kochendem Wasser geworfen wird, blitzschnell heraushüpft, so wie wir reflexhaft die Hand hochreißen, wenn sie auf die heiße Herdplatte gelangt,


dass aber derselbe Frosch, wenn er in dem Wasser sitzt, das erst noch kühl ist und dann nach und nach erhitzt wird, sich ohne davonzuspringen bei lebendigem Leibe kochen lässt.


Warum tut er das?


Weil er den entscheidenden Moment verpasst, in dem er zum Springen noch imstande wäre.


Er genießt das Wärmerwerden sogar. Eben nur etwas länger, als es gut für ihn wäre. Dann setzt eine Art Gewöhnung an das zu heiße ein, bis es zu spät ist zum Hüpfen.



In dem Moment, wo die Erkenntnis den Sprung auslösen könnte, hat die Hitze den Bewegungsapparat längst handlungsunfähig gemacht.


Feierabend. Ausgefroscht.


Haben wir den Punkt verpasst, an dem eine Umkehr zu einer gesunden Relation zwischen Stille und Lärm noch möglich gewesen wäre?



Sollte es wirklich möglich sein, die Wahrnehmung von und den Umgang mit Musik noch einmal grundlegend zu verändern?


Wir leben in einer Zeit, in der auf Abruf die permanente Verfügbarkeit von Musik jeglicher Art eine Selbstverständlichkeit ist. Spotify, YouTube, soundcloud, iTunes, Apple Music, Deezer, napster, Google play, Amazon, Radio und Fernsehen, …


Na, und so weiter.


Das sind immerhin noch die, die uns das liefern, was wir selbst wollen und zwar dann, wenn wir es auch wollen.


Aber was ist mit den vielen Momenten, in denen wir ungefragt beschallt werden? (Technik-)Kaufhäuser, Fastfood-Restaurants, in denen es manchmal passiert, dass ein Fernseher uns mit Bildern bombardiert und wir dazu einen Sound hören, der mit den gezeigten Bildern nichs zu tun hat, (als hätten Augen und Ohren am selben Kopf nicht eben das selbe Hirn, dem sie zuarbeiten), Supermärkte, Weihnachtsmärkte, Wochenmärkte, Fisch… Aber auch Fahrstühle, Hotellobbys, Bars, Cafés, Schuhläden, Flughäfen, …


Bisweilen spielen Straßenmusiker in einer Fußgängerzone in Hörweite voneinander! Ganz abgesehen von der besinnlichen „Ruhe“ auf Weihnachtsmärkten, auf denen jede Bude und jedes Karussell ihre Kunden mit eigens ausgewählter ganz besonderer Musik zu locken versucht. Immer eben ein wenig lauter als der Nachbar, damit man es auch hört!


Wieder: na, und so weiter.


Abwertung der hörbaren Kunst


Nennen wir es getrost eine Inflation der Musik – oder besser eine Inflation der tönernen Geräusche. Denn in vielen dieser Fälle donnert der Sound um uns ja herum, ohne dass er inmitten von den ihn zersetzenden Umweltgeräuschen noch den Charakter wirklicher Musik hätte.


Wenn man in einer Kaffee-Bar sitzt, in der sich die Tassen- Löffel-, Schlürf- und Konversationsgeräusche der Gäste mit dem Gekrächze von Espressomahl- und

Milchschäumgeräten vereinen und wir dazu von einem wohlmeinenden Barkeeper mit Aufnahmen von Gesängen bisweilen irgend welcher verzweifelt immer wieder die drei bis vier selben Töne herausschreienden Pop-Diven beglückt werden, ist die uns umgebende Soundflora durchaus schonmal vergleichbar mit einer Mischung aus Presslufthammer und Niederkunft.

Entspannung pur, nicht wahr?

Nehmen wir die akustische Hygiene wieder selbst in die Hand



Auch wenn es schwer fällt: Der Weg des Sensibilisierens für die Schönheiten der Musik hat elementar zu tun mit einer vorherigen Entlastung des Hörorgans.


Und da ich vorhabe, Sie zu verführen zu einer Reise ins Reich der Musik, der Schönheit und Differenziertheit auch zarter Klänge, der unterschiedlichen Wirkung von Klangfarben, deren Nuancen dichter beieinander liegen als zwei benachbarte Farbtöne des Regenbogens, lade ich Sie ein, bei nächster Gelegenheit ihre akustische Umgebung unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls durch vorsichtiges Eingreifen darauf hinzuwirken, dass man Ihr Recht auf ein Leben ohne Gehörschutz respektiert.


Ich wünsche eine gute Zeit. Und gute Musik.


Ihr Stefan Malzew

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